martedì 10 giugno 2008

Zur Comedìa-Rezeption in der Deutschen Dante-Gesellschaft (3)











Prof. Dr. phil. habil. Jörn Gruber

Rectŏr Magnĭfĭcus
Lībĕrālĭum Artĭum Ăcădēmīae Augustae Trēvĕrōrum



Per midons Sonha Heifez योगिनी yoginī


Wolfgang Everling (Prof. Dr. rer. nat.: Informatik und Mathematik) hat 2006 im Mitteilungsblatt der Deutschen Dante-Gesellschaft (S. 15-18) eine neue Deutung der Eingangsterzine der „Göttlichen Komödie“ vorgeschlagen, der ich als Philologe vehement widersprechen möchte.

nota bene

Eine wesentliche kürzere Form dieser Replik auf Everlings „Ewiges Babylon“ hat der Redaktion des Mitteilungsblattes seit April 2007 vorgelegen. Da es in der Ausgabe von 2007 (Juni), die übrigens einen weiteren Beitrag Everlings enthält, 'keinen Platz mehr' gab für meinen dreiseitigen Text, wurde der Abdruck in der Ausgabe von 2008 (Juni) vereinbart. Ich habe seitdem keine Rückmeldung bekommen. Auf eine entsprechende Anfrage hat bisher keines der wissenschaftlichen Mitglieder des Vorstandes reagiert. Die Herren und Damen haben sicher Besseres zu tun, als sich mit Dante-Philologie zu beschäftigen.



Hier - auf ihren Kern reduziert - die Argumente des Laien-Philologen

(A) Etymologie

Das Verbum smarrire sei, so Everling, eine Sprachschöpfung Dantes und gehe nicht auf „ein altfranzösisches esmarrir: schlechte Laune haben [sic!] zurück “, da dies „keinen Bezug zu der italienischen Wortwurzel“ habe, die „durchaus vorhanden“ sei. „Als Herkunft kommen also ein Verb marrire (vielleicht auch marrere) oder ein Substantiv [sc. marra: die Unkrauthacke…] in Frage . In unserer Vorsilbe zer- haben wir übrigens eine genaue Entsprechung zu Dantes [sic!] dis-! Zerhacken, zerklüften, zerstören, zerbrechen wären also etymologisch plausible Bedeutungen für dis-marrire.“



(B) Interpretation

Everling stellt der herkömmlichen Interpretation die folgende Übersetzung gegenüber:

„Inmitten auf der Straße unseres Lebens / Fand ich mich wieder wie im dunkeln Walde ,/ Wo der gerade Weg zum Abgrund stürzte.“



(C) Abwesenheit des Moralischen und Religiösen in der ersten Terzine

„Wie Dante dann in den Versen 11 und 12 sagt, war er in der ganzen Szene… voll Schlaf jenseits des Punktes, Da ich den wahren Weg schon aufgegeben [im Original kursiviert]. Auch andere haben schon gemerkt, dass erst das ‚verace’ das Moralische und Religiöse anklingen lässt.“


nota bene

11 tant era pien di sonno a quel punto
12 che la verace abbandonai.

[so voll war ich des Schlafes in jenem Augenblick, / da ich den wahren Weg verließ]


Und hier die Gegenargumente des (professionellen) Philologen:

A) Widerlegung der Etymologie

Nach der kursorischen Lektüre des Mitteilungsblattes der Deutschen Dante-Gesellschaft griff ich zunächst nach dem Romanischen Etymologischen Wörterbuch von Wilhelm Meyer-Lübke im Handregal neben meinem Schreibtisch.

Hier, was Everling hätte erfahren können, wenn er über den Rand seiner Taschenwörterbücher geschaut oder einen Philologen-Kollegen gefragt hätte (allerdings nicht einen der jüngeren Professoren für italienische Literaturwissenschaft, denn die sind in aller Regel keine echten Philologen: Kenner von Sprache und Literatur):

5373. marrjan (fränk.] „hemmen“, „ärgern“.
Afrz. marrir „betrüben, „beunruhigen“, „sich verirren“ (prov. marrir, kat., sp. marrar „sich verirren“ nach errar) […] it. smarrire „verirren“, „verbergen“; afrz., prov. esmarit „verirrt“ [= it. smarrito]

So weit das REW aus der Sammlung Romanischer Elementar- und Handbücher, das ich mir von meinem ersten Assistentengehalt gekauft habe und beinahe jeden Tag konsultiere.

Als Fachmann wusste ich natürlich ohnehin, dass

smarrire / esmarrire in der Italienischen Literatur (Lyrik und Prosa) von Anfang an belegt ist, also lange vor Dante, zuerst bei den Lyrikern der scuola siciliana (Giacopo da Lentini und Nachfolger, …1230-1250…), die das Verb und das Partizip von ihren Vorbildern, den occitanischen Trobadors übernehmen, bei denen esmarrir / marrir [aus westgerm. MARRJAN ärgern, hindern, stören, vgl. J. Corominas, Diccionari Etimològic, 1985, Bd. 5. S. 500-2] in Verbindung mit via (Straße) und camin (Weg) dieselbe Bedeutung hat wie im Occitanischen und Italienischen unserer Tage [verirren, verfehlen, verlieren = frz. égarer):

Cf. T. De Mauro, Dizionario della lingua italiana, 1999-2007 s.v. smarrire] smar|rì|re v.tr. e intr. 1a v.tr., non trovare più qcs. che si aveva con sé, perdere: s. le chiavi, il portafoglio, i documenti 1b v.tr., estens., perdere l’orientamento, non riuscire più a seguire il proprio cammino, a trovare la strada giusta per raggiungere la propria meta: s. la strada, il sentiero.

B) Widerlegung der Interpretation

1) Everlings Übersetzung ergibt, ins Italienische zurückübertragen, den folgenden Text:

Inmitten auf der Straße unseres Lebens
Fand ich mich wieder wie im dunkeln Walde,
Wo der gerade Weg zum Abgrund stürzte.

In mezzo alla strada di nostra vita
mi ritrovai come in una selva oscura
dove il camin diritto si precipitò nel abisso.

nota bene

inmitten auf der Staße[ hochdeutsch: mitten auf der Straße

Beispiele(aus dem Internet; input google: in mezzo alla strada):

Savona, lascia auto in mezzo alla strada: traffico in tilt.

[Läßt sein Auto mitten auf der Straße steen, Verkehr bricht zusammen]

Cane investito in Cina lasciato per ore in mezzo alla strada.

[In China (hat man) einen überfahrenen Hund stundenlang mitten auf der Straße gelassen] (mit Video)



Ganz anders Dante (ich zitiere als Trobdor- und Dantephilologe grundsätzlich nach den Handschriften, um modernen Textverfälschungen vorzubeugen):

Nel meçço del camin di nostra uita
mi ritrouai per una selua oscura
che la diritta uia era smarrita.

(Trivulziano 1080: Francesco di ser Nardo da Barberino)


[In deutscher Prosa = In der Mitte unseres Lebensweges /fand ich mich wieder(wie ich) durch einen dunklen Wald (irrte) /in dem der rechte Weg abhanden war = it. A metà del corso della nostra vita / mi ritrovai (che erravo) per una selva oscura / dove la diretta via era smarrita (= non si trovava più]


3) Doch damit nicht genug: Dante entlehnt die Worte seines dritten Verses offensichtlich aus der zweiten Cobla der Canzone 'Doutz brais e critz' PC 29.8 des Trobadors Arnaut Daniel (um 1180) und aus der entsprechenden Glosse der Handschrift H (13./14. Jh.), durch die der occitanische Text – unmittelbar oder in Form einer Abschrift oder Vorlage (exemplum) – zu ihm gelangt sein dürfte:

No fui marritz / ni no prezi destoutas
[Ich war nicht verirrt noch schlug ich Umwege ein = Non fui smarrito (= non mi smarrii] e non presi vie traverse)

Glosse in H: so es que no•m destolgui de la dreta via
[das heißt, dass ich mich nicht von der rechten Straße abgewendet habe = cioè non mi distolsi dalla diretta via]

Textetymologisch:

que la dreita via era esmarrida → che la diritta via era smarrita

Mi anderen Worten: Dante schmiedet (obrar e limar) die ‚Worte von Wert’ (motz de valor) desjenigen Trobadors, den er Guido Guinizelli als miglior fabbro del parlar materno (besseren Schmied der Muttersprache) bezeichnen läßt (Purgatorio 26.117), auf so kunstvolle Weise um, dass ihm bisher niemand ‚auf die Schliche’ gekommen ist.

(C)Präsenz des Religiösen in deer ersten Terzine

Man muß - im übertragenen Sinne - schon sehr schwer-höig sein und bar aller Kenntnisse religiöser Literatur der Spätantike und des Mittelalters, wenn man beim Klang der ersten Verse der Danteschen Comedìa nicht den einen oder anderen der folgenden Texte mit-hört (ich zitiere die Bibelstellen aus dem Gedächtnis wie es sich für einen Dantephilologen gehört):

In dimidio dierum meorum vadam ad portas inferi (Iesaia 38.10)

[In der Mitte meiner Tage muß ich hinabgehen zu den Toren der Unterwelt = it. a metà
dei miei giorni devo andar alle porte dell'inferno]

Kommentar des Hieronymus (von dem die lateinische Üversetzung stammt:

Peccatores uero et impii in dimidio dierum suorum moriuntur, de quibus et psalmista loquitur: Uiri sanguinum et dolosi non dimidiabunt dies suos. Non enim implent opera uirtutum, nec student paenitentia emendare delicta. Vnde in medio uitae cursu, et in errorum tenebris ducentur ad tartarum.

Textetymologisch:

in medio uitae cursu → Nel meçço del camin di nostra uita

[Die Sünder und Unfrommen aber werden in der Hälfte ihrer Tage sterben, von denen auch der Psalmist spricht: die Männer des Blutes und die Betrüger werden die Hälfte ihrer Tage nicht erreichen. Denn sie verrichten weder Tugendwerke noch sühnen sie ihre Verfehlungen durch Buße. Daher werden sie in der Mitte ihres Lebensweges und durch die Finsternisse der Irrtümer zum Tartarus (zur Hölle) geführt werden = it. Ma i peccatori e empii moriranno a metà dei loro giorni, di cui parla anche il salmista: gli uomini sanguinari e fraudolenti non giungeranno alla metà dei loro giorni. Infatti non compiono opere di virtù né cercano di emendare i loro delitti con la penitenza. Onde nel mezzo corso della loro vita (= nel mezzo del camin di loro vita) e per le tenebre dei peccati saranno condotti al Tartaro]


dies annorum nostrorum […] septuaginta anni (Psalm 89.10)

[die Tage unserer Jahre (= unser Lebend währt) siebzig Jahre = it. i giorni degli anni nostri (sono) settanta]

ne revoces me in dimidio dierum meorum Psalm 101.25

[ruf mich nicht ab in der Mitte meiner Tage = non mi revocare a metà dei miei giorni]

I 1 Axi com cel c’anan erra la via
2 que deu tener can va ab nit escura
3 e te cami mal e brau qui l’atura
4 e no sap loc ni cai on se sia...

II 1 Que-l cami ay errat que far devia
2 tan m’es la nuytz fer’e salvatg’ e dura…

(Cerverí de Girona PC 434a - katalanischer Trobador - gegen 1285)

Textetymologisch:

ab nit escura → per una selua oscura

tan m’es la nuytz fer’e salvatg’ e dura →

et quanto a dir qual era e cosa dura
questa selua seluaggia (et) aspra (et)forte


[So wie der, der im Gehen den Weg verfehlt, / den er einhalten muss, / wenn er in dunkler Nacht geht / und einen schlechten und unwegsamen Weg hat, der ihn aufhält, und er nicht weiß, an welchem Ort und auf welchen Weg er ist… // Denn den Weg habe ich verfehlt, den ich gehen musste (it. ché la via smarii che far devia), / so sehr ist mit die Nacht schrecklich und wild und beschwerlich it. Così come colui ch’andando smarrisce la via / che deve tenere quando va per notte oscura…//
Ché la via smarrii che far devia / tant’è la notte feroce e selvaggia e dura



Fazit

Everlings Deutung ist laienhaft und absurd. Bewaffnet mit Hand- bzw.(für das Italienische) Taschenwörterbüchern und elementarsten Italienisch-Kenntnissen versucht er, Dante sozusagen auf den Sprach-Leib zu rücken: dabei verirrt er, Everling, sich (si smarrisce)hoffnungslos im "Ewigen Babylon"

quod erat demonstrandum!



Konklusion

Über die erste Terzine der 'Divina Commedia', der 'Göttlichen Komödie" ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen: das Wesentliche ist nicht nur den Dante-Liebhabern und philologischen Laien wie Wolfgang Everling entgangen, sondern auch den 'addetti ai lavori', den professionellen Danteforschern (in Italien und dem Rest der Welt), die in aller Regel nicht hinreichend mit der lateinischen und den romanischen Literaturen vertraut sind. Doch darüber an anderer Stelle mehr (G. G.: art de trobar – art d’entendre. Saggi di poietica e ermeneutica (Da Guilhem des Peitieus a Dante Alighieri - Trier 2008)

Schließen möchte ich mit (immer noch akturellen) den Worten, die der große Dante-Philologe Michele Barbi vor mehr als siebzig Jahren schrieb:

La critica dantesca procede generalmente senza direttive certe e senza vera preparazione scientifica… Lo studio di Dante è davvero una cosa seria, che richiede come pochi altri studi vasta preparazione e lunghe meditazioni… Giova poco far libri su libri di critica, invece di studiare direttamente le fonti [G.G.: latine e] medievali per rendersi familiari il pensiero e il sentimento di quei tempi e il linguaggio in cui pensiero e sentimento si manifestano [Michele Barbi 1935]

[Die Dante-Forschung geht im allgemeinen vor ohne klare Richtungsgebung und ohne wirkliche wissenschaftliche Vorbereitung. Die Erforschung Dantes ist in Wirklichkeit eine ernste Angelegenheit, die wie wenige andere Forschungsgebiete umfangreicher Vorbereitung bedarf und langen Nachdenkens... Es nützt wenig, ein literaturwissenschaftliches Buch nach dem anderen zu schreiben, statt unmittelbar die [J.G: lateinischen und] mittelalterlichen Quellen zu erforschen, um sich vertraut zu machen mit dem Denken und Empfinden jener Zeiten und der Sprache, in der Denken und Empfinden sich ausdrücken]


Nachtrag

Zwei weitere Artikel über die Comedìa-Rezeption (erste Terzine) in der Deutschen Dante-Gesellschaft, im Abstand von ca. 50 Jahren erschienen im Jahrbuch der DDG, sind in Vorbereitung und werden in den nächsten Tagen in diesem Blog zugänglich sein.

Das erste Zeugnis (Carl Stange) stammt aus dem Jahre 1939 (DDJ 21, pp.164-272), in dem der damalige Vorsitzende der Deutschen Dante-Gesellschaft, Friedrich Schneider, unter der Rubrik 'Neue Dante-Literatur' zwei Prachtausgaben der 'Göttlichen Komödie in Deutschland' vorstellt:

(1) [...Kommentar des Jacopo della Lana]

(2) "Eine weitere Prachtausgabe der Göttlichen Komödie in Deutschland trägt folgendes feierliches Widmungsblatt im Zweifarbendruck: // Dieser Druck der Goettlichen Komoedia wurde veranstaltet zu Ehren des Schöpfers des fascistischen Italien Benito Mussolini im ewig denkwürdigen Jahre 1938 der Schaffung des großdeutsche Reiches und des Besuchs Adolf Hitlers in Rom als einmalige Erinnerungsgabe im Zeichen der Deutsch-Italienischen Freundschaft" (p. 173)


Das zweite (DDJ 65 1992, pp. 7-46) stammt von Willi Hirdt, dem es gelingt, auf elf Seiten einen knappen Teil dessen auszubreiten, was jeder wirkliche Dantologe 'aus dem Ärmel schütteln' kann: die wenigen entscheidenden Beiträge zum rechten Verständnis des Danteschen Incipit (Arpad Steiner 1936 [auf Englisch], Francisco Oroz Arizcuren 1972 [auf Kastilisch], Jörn Gruber 1983 [auf Deutsch]) werden von Hirdt ebenso ignoriert wie - bis heute - von seinen italienischen Kollegen!

Nessun commento:

Informazioni personali

La mia foto
In questo sito i miei scritti vengono messi a disposizione di chiunque voglia leggerli. Nella maggior parte dei casi si tratta di saggi in fieri. Perciò è possibile proporre variazioni e miglioramenti.